Engineering bringt Natur zurück

2021 endet eines der spektakulärsten Projekte zur ökologischen Umgestaltung eines völ-lig zerstörten Flusssystems. Der Flusslauf der Emscher wird von der Emschergenossenschaft von einem offenen Abwasserkanal zu einem lebendigen Gewässer umgestaltet. Manche sprechen von einem „blauen Wunder“, wobei ein Wunder etwas Göttliches und Unerklärliches hat. Hinter dem einzigartigen Emscher-Umbauprojekt stehen allerdings keine überirdischen Kräfte, vielmehr ist es weltliche Ingenieurskunst und der feste Wille, Mensch und Natur wieder zu vereinen.

Die Superlative im Zusammenhang mit der Wiederbelebung der Emscher überschlagen sich: 80 km Umgestaltung von der Quelle bis zur Mündung, 30 Jahre Laufzeit, 100 Jahre Mindestnutzungsdauer, 73 km Neubau des unterirdischen Abwasserkanals Emscher, bis zu 40 m Tiefenlage, Abwässer von 2,2 Millionen Menschen, 4 Groß-Klärwerke, 3 Groß-Pumpwerke, rund 5 Milliarden Investitionsvolumen – es ist eines der größten Infrastrukturprojekte Europas. Es gab weltweit noch nie ein vergleichbares Projekt in dieser Größenordnung zur ökologischen Umgestaltung eines ganzen Flusssystems, das zuvor biologisch tot war. Nur wenige Anwohner konnten sich zu Beginn, Anfang der neunziger Jahre, vorstellen, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Grüne Technik für blaues Wunder

Die Visionäre der Emschergenossenschaft wussten, was sie ihrem Fluss, den Menschen und der Natur schuldig waren und gaben ein Versprechen ab: „Ihr bekommt Euren Fluss zurück!“ Es war der Beginn eines Generationenprojektes, das nun nach 30 Jahren fertiggestellt wird und das eine ungeheure Leuchtturmfunktion hat. Andere Großprojekte mögen prestigeträchtiger sein und erregen eine höhere mediale Aufmerksamkeit, hier geht es aber um mehr. Es geht um den Beweis, dass es interdisziplinäre Ingenieurskunst schafft, verloren geglaubten Lebensraum wiederzugewinnen. International unter „Green Engineering“ bekannt, steht das Schlagwort für nachhaltige Innovationen, die dem Schutz von Umwelt und Natur als Lebensgrundlage für den Menschen dienen. Imposant ist auch, dass gerade Unternehmen aus Deutschland hier einen Meilenstein setzen konnten. Ein Zukunftsmetier, von dem das Wohl vieler Millionen Menschen abhängt und ein Vorbildprojekt, das ohne Pumpen mit schützenden Kupplungen nicht durchführbar wäre.

Problemfall Emscher

Doch wer ist die Emschergenossenschaft und wie kam es zu der katastrophalen Verschmutzung des Flusses? Die Emscher schlängelte sich um 1850, noch vor der Industrialisierung, auf 109 km quer durch die Kernzone des Ruhrgebiets von Holzwickede bei Dortmund bis nach Dinslaken, wo sie in den Rhein mündet. Die Gegend war schwach besiedelt und von Auen, Wehren und Landwirtschaft geprägt. Mit Beginn des Kohleabbaus kam immer mehr Montanindustrie und zahlreiche Menschen siedelten sich im Ruhrgebiet an. Wegen des Bergbaus senkte sich unablässig der Boden, weshalb Abwässer aus Industrie und Haushalten nicht unterirdisch abgeführt werden konnten. Sie sammelten sich in den Senken, was bei Hochwasser zu hygienisch kritischen Überflutungen der Häuser führte. Deshalb wurde 1899 die Emschergenossenschaft gegründet. Als erster öffentlich-rechtlicher Wasserwirtschaftsverband von Städten, Wirtschaft und Bergbau behob sie den Entwässerungsnotstand mittels der Emscher als offenem Abwasserkanal. Die Emscher wurde dafür von Dortmund bis zum Rhein tiefer gelegt, eingedeicht, begradigt und auf 80 km verkürzt. Parallel entstanden etliche Kläranlagen, deren Abwasserzuführung über das offene Kanalsystem erfolgte.

Startschuss 1992

Mit zunehmendem Ende des Steinkohlebergbaus haben sich die Bergsenkungen stark abgeschwächt, das Ruhrgebiet wandelte sich nun von einer stark belasteten Region in einen begrünten urbanen Lebensraum. Dieser Wandel in der Region spiegelt sich auch in der heutigen Aufgabe der Emschergenossenschaft wider. Ziel ist nun der naturnahe Umbau des Emscher-Systems und eine möglichst nachhaltige Wasserwirtschaft. Der Startschuss dafür fiel 1992.

Unterirdischer Abwasserkanal Emscher

Um die Emscher von den Abwässern zu befreien, wurde eine gigantische unterirdische Hauptschlagader errichtet, der Abwasserkanal Emscher (AKE). Er verläuft auf einer Länge von 51 Kilometern von Dortmund bis Dinslaken und unterfährt in einer Tiefe von bis zu 40 Metern Autobahnen, Straßen, den Rhein-Herne-Kanal, dessen Schleusen sowie Bahntrassen und Industriegebiete. Der Kanal benötigt ein Gefälle von 1,5 Promille und startet in Dortmund am ersten Schacht in 8 Metern Tiefe. Der Rohrdurchmesser des AKE erweitert sich sukzessive von 1,6 auf 2,8 Meter. Er besteht aus Stahlbetonrohren, die mittels Rohrvortriebsmaschinen vorgepresst und verlegt wurden. In seinem westlichen Abschnitt von Bottrop bis nach Oberhausen erfolgte seine Verlegung mit ineinandergefügten Betonelementen, sog. Tübbingen und wurde mit modernsten Tunnelbaumaschinen vorgetrieben. Würde das Gefälle einfach fortgesetzt mit 1,50 Metern je Kilometer, käme der Kanal am Ziel in Dinslaken in 80 Metern an, was erhebliche bautechnische Probleme und Kosten verursachen würde. Deshalb sind drei Groß-Pumpwerke in Gelsenkirchen, Bottrop und Oberhausen zwischengeschaltet, die das Abwasser punktuell wieder heben und den Klärwerken zuführen. Der Hauptkanal kann somit das Gefälle halten und ist trotzdem noch tief genug, um das rund 400 km lange, zuführende Seitenkanalsystem im freien Gefälle zufließen zu lassen.

 Herzstück Pumpwerk Oberhausen

Die Pumpen befinden sich in unterirdischen Pumpwerksräumen und haben eine maximale Förderleistung von bis zu 16.500 l/Sekunde. Dabei können beim größten Abwasserpumpwerk in Oberhausen 10 Pumpen Abwässer mit je bis zu 2.060 l/Sekunde über 40 m nach oben fördern. Das Pumpwerk Oberhausen ist das Letzte der drei Pumpwerke, bevor der Abwasserkanal Emscher nach weiteren 3,2 km hochliegendem Kanal in das Klärwerk Emscher-Mündung (KLEM) in Dinslaken fließt. Etwa 7 km westlich des KLEM mündet die Emscher in den Rhein. Zur Bauzeit galt es als „die derzeit tiefste Baustelle im Ruhrgebiet“. Es ist mit 44 m Tiefe und 50 m Durchmesser das Größte der drei Pumpwerke und fungiert als Herzstück der „abwassertechnischen Hauptschlagader“ AKE. Wenn man in diesem Bild bleiben möchte, verfügen die Pumpen über Herzklappen, die für den Lebenserhalt sorgen – die Kupplungen. Sie trennen zwar keine Ströme, wohl aber den Antrieb bei plötzlich auftretenden Überlastungen. Diese Wächterfunktion ist unerlässlich, wenn Turbinen und Antriebswellen langfristig ohne Schaden bleiben sollen. Insbesondere bei solchen Abwasservolumen können große Fremdkörper wie Holzstücke enthalten sein. Kommen sie in die Laufräder der Pumpen, müssen gewaltige Kräfte in Millisekunden getrennt werden, bevor Totalschaden entsteht. Aber auch vermeintlich kleine Teile wie Toilettenpapier, Feuchtpapier oder Hygieneartikel können zu einer von Abwasserspezialisten gefürchteten „Zopfbildung“ führen und Pumpen lahmlegen.

Mechanik vor Elektronik

Christopher Monka ist der Senior Account Manager der R+W Antriebselemente GmbH aus Wörth am Main. Die R+W Sicherheitskupplungen sind ein Qualitätsbegriff in der Branche. Jede Kupplung wird individuell auf die jeweilige Antriebssituation abgestimmt und ist fein justierbar. Er betreut das Kupplungsprojekt Pumpwerk Oberhausen, Abwasserkanal Emscher und betont die Notwendigkeit des mechanischen Schutzes: „Die Pumpen dürfen nur bis zu einem bestimmten Drehmoment belastet werden. Kommt es nun zu einer plötzlichen Blockade, schützt die Kupplung die Pumpe, den Motor und den gesamten An- und Abtrieb vor einer Drehmomentüberlast. Dies geschieht mechanisch durch Tellerfedern, die eine axiale Kraft auf Kugeln ausüben. Die Kugel sitzt auf der Abtriebsseite in einem entsprechenden Passungssitz. Sobald die Tangentialkraft, die auf die Kugel wirkt, zu groß wird und die Tellerfeder sie nicht mehr im Kugelsitz halten kann, rutscht diese in das Sicherheitssegment. Die Kupplung löst die Verbindung und der Kraftfluss ist entkoppelt. Dies geschieht im Bereich von 10 bis 15 Millisekunden. Eine rein elektronische Überwachung des Motorstroms, mit Abschaltautomatik bei Überlast im Ernstfall, ist aufgrund der Trägheit der Masse und der gewaltigen kinetischen Energie ungeeignet, weil sie diese blitzartige Trennung der Antriebskräfte nicht erreicht. Sie benötigt allein schon für die Erkennung der Überlast 40 bis 60 Millisekunden. Erst dann erfolgt die Abschaltung des Motors, allerdings ohne Trennung der Kräfte vom Antriebsstrang. Abgesehen davon wird elektrischer Strom und eine exakte Programmierung für die Steuerung benötigt, was wiederum Risiken birgt, die die mechanischen Sicherheitskupplungen von R+W nicht betreffen.“

Vorteil Einstellbarkeit

Die präzise Einstellbarkeit der R+W Kupplungen hat laut Christopher Monka klare Vorteile: „Zur Auslösung der sofortigen Trennung nutzen andere Kupplungshersteller Abscherbolzen, die sich bei Auftreten einer definierten Kraft zerstören. Das von R+W favorisierte federvorgespannte Kugelrastprinzip hat demgegenüber den Vorteil, dass das Ausrückmoment der Kupplung auf einer Einstellbandbreite sehr genau definiert ist und die Verbindungsherstellung sofort nach dem Auslösen ohne Ersatzteile erfolgen kann. Die für das Pumpwerk Oberhausen verwendeten Sicherheitskupplungen sind in der Freischaltausführung, d. h. das Wiedereinrücken geschieht manuell, innerhalb von Minuten. Alles was man dafür benötigt, ist ein Gummihammer. Durch die besondere Bauweise sind die Kupplungen nahezu wartungs- und verschleißfrei und dennoch flexibel regelbar. Gerade zu Beginn einer Inbetriebnahme kann es notwendig sein, dass der optimale Einstellwert an die Praxisbedingungen angepasst werden muss. Diese Anfangssensibilität und Flexibilität macht sich aber auf lange Sicht für den Betreiber bezahlt. Werden nämlich zu Beginn einfach zu hohe Werte definiert, um Aussetzer zu vermeiden, geht dies auf Kosten der Lebensdauer von Pumpe, Motor und Antriebsstrang. Treten später dann dort Ausfälle auf, sind die Folgen schwerer als nur das Wiedereinrücken oder Anpassen einer Kupplung.“

Zuverlässige Komponenten

Die hohe Verlässlichkeit und das sichere mechanische Prinzip sprechen für die Sicherheitskupplungen von R+W im Rahmen des Abwasserkanal-Emscher-Projekts. Der Aspekt des einfachen und schnellen Wiedereinrückens war für die Planer des Pumpwerkes ebenso wichtig wie die Tatsache, dass keine Ersatzteile bevorratet werden müssen. Immerhin hat der Abwasserkanal Emscher einen Betriebshorizont von 100 Jahren.

Ein Modell, viele Bereiche

Im Pumpwerk Oberhausen kommen insgesamt zehn R+W Sicherheitskupplungen der industriellen Baureihe STR/25 zum Einsatz. Der Wellenzapfen misst 145 mm und verfügt über eine Passfeder zur Verbindung an die vertikal im Schacht verlaufende, fast 5 m lange Kardanwelle. Zwei der Kupplungen haben ein Ausrückmoment von 11.700 Nm, wobei die Kupplungen einstellbar sind von 9.000 bis 18.000 Nm. Die acht anderen Kupplungen haben ein Ausrückmoment von 16.000 Nm und einen Einstellbereich von 15.000 bis 25.000 Nm. Alle zehn Kupplungen sind vom Aufbau gleich, der Einstellbereich wird über die Anzahl der Segmente definiert. Das Kupplungsmodell STR/25 deckt die erhebliche Bandbreite von 9.000 bis 25.000 Nm Drehmoment ab. Obwohl die Dimensionen des Projektes Abwasserkanal Emscher beachtlich sind, zählen die Kupplungen mit einem Gewicht von je ca. 80 kg nicht zur Obergrenze der Machbarkeit bei R+W. Die größte dort jemals gebaute Kupplung wog über 20 Tonnen und hat einen Abschaltmoment von 20 Millionen Nm. Sie wird an einem Prüfstand für Windkraftanlagen benötigt.

Enorme Erfahrung

Für Christopher Monka zählt bei R+W die individuelle Projektbetreuung: „Wir klären zuerst die Grundparameter, wie z. B. die Einbausituation, Drehmoment, Drehzahlen, Einsatzbereich und natürlich auch die geometrischen Anforderungen wie Durchmesser des Wellenzapfens, der Antrieb, Art des Anbauflansches und Beschaffenheit der Abtriebseite. Idealerweise beraten wir bereits im Vorfeld bei der Planung, denn die vielfältigen Möglichkeiten, die wir als Kupplungshersteller mit Stammsitz und Produktionswerk in Deutschland haben, sind sehr hilfreich für Planer und Konstrukteure von Maschinen und Anlagen. International sind wir in rund 100 Ländern vertreten und ein Sicherheitskupplungshersteller, bei denen die Genauigkeit bei Bauart und Produktion vom TÜV zertifiziert und überwacht wird. Unser Portfolio umfasst verschiedenste Kupplungsarten. Es reicht von sehr kleinen bis ganz großen Kupplungen, die zum Teil unter härtesten Außenbedingungen z. B. extreme Temperaturen, Staub, Dampf oder Gas zum Einsatz kommen. Über 30 Jahre Erfahrung im Kupplungsbau helfen uns bei solch besonderen Anforderungen und wir stehen gerne mit Rat und Tat zur Seite.“

 Plan geht auf

In der bereits ökologisch umgestalteten oberen Emscher haben sich zur Überraschung aller bereits wieder anspruchsvolle Fische wie Groppen angesiedelt. Sie sind ein Zeichen für die gute Wasserqualität. Ebenso wie Eisvögel, Prachtlibellen und Forellen. Die Artenvielfalt hat sich seit Anfang der neunziger Jahre verdreifacht. Ehemalige Klärwerke wurden zu Ruheoasen umgebaut und ein Radweg führt entlang eines nun malerischen Flüsschens. Menschen, Tiere und Pflanzen erobern sich den zerstörten Lebensraum dank einer einzigartigen Engineering-Leistung wieder zurück. Das Generationenprojekt macht Hoffnung und ist zugleich Ansporn für weitere Umwelt-Unternehmungen, an denen sich R+W mit Freude, Fachwissen und Technologie beteiligt.