Kupplungssonderlösung im Schienenverkehr

In Europa ist und bleibt der Schienennah- und Fernverkehr neben dem PKW das für Berufspendler und Reisende wichtigste Verkehrsmittel. Die stetig steigende Zahl der Nutzer stellt jedoch die jeweiligen Dienstleister vor infrastrukturelle und verfahrenstechnische Herausforderungen.

Investitionen in komplett neue Schienenfahrzeuge werden sowohl von privaten als auch öffentlichen Betreibern aus Kostengründen meist zurückgehalten. Stattdessen werden bestehende Fahrzeuge auf den neusten Stand der Technik gebracht. So zum Beispiel die „n-Wagen“  der DB, die wegen ihrer unlackierten Nirosta-Außenhaut als „Silberlinge“ bekannt wurden. Von diesem Waggontyp wurden zwischen 1959 und 1980 über 5000 Exemplare gebaut. Einige davon sind sogar  noch immer im Einsatz und erfuhren im Laufe der Jahre andere Lackierungen und technische Optimierungen. Dabei hat auch der Einzug der Servoantriebstechnik nicht an der Bahnsteigkante Halt gemacht.  Als Beispiel sei hier der scheinbar einfache Prozess des Öffnens und Schließens der Zustiegstüren eines Personenwaggons genannt. Die seinerzeit entwickelten, per Luftdruck betriebenen Türöffnungskonzepte hatten den Nachteil, dass mindestens ein Zugbegleiter am Bahnsteig präsent sein musste. Dieser hatte neben der Fahrkartenkontrolle unter anderem die Aufgabe der Sichtung, ob auch alle Türen ordnungsgemäß geschlossen wurden. Solange nicht alle Türen sicher verschlossen waren, konnte der Zug nicht abfahren.

In modernisierten Waggons erfolgt die Steuerung heute, mit Hilfe der Servoantriebstechnik, zentral vom Führerstand aus. Dem Zugführer obliegt somit die Überwachung, Steuerung und Sicherung. Der für den Antrieb vorgesehene Einbauraum im oberen Türbereich eines Personenwaggons ist in allen europäischen Modellen auf ein Minimum begrenzt. Darin muss ein kompakter DC-Motor  inkl.  nachgeschaltetem Planetengetriebe mit hoher Untersetzung der Drehzahl auf etwa 30 U/min.  untergebracht werden. Bei vielen Waggons beginnt nach weniger als 10cm über der Tür bereits die Wölbung des konvexen Dachaufbaus.  Wegen der Gesamtlänge eines am Markt verfügbaren Kompaktgetriebemotors können diese somit nur waagerecht eingebaut werden. Dies wiederum hat zur Folge, dass zusätzlich noch ein Winkelgetriebe im Antriebsstrang Platz benötigt um die rotatorische Kraft auf die senkrecht stehende Antriebswelle der Tür übertragen  zu können. Die gesamte Getriebekombination darf nicht selbsthemmend sein, um im Notfall die Türen noch manuell bewegen zu können. Für das sichere Bewegen einer Drehfalttür wird dabei ein durchschnittliches Drehmoment von rund 30 Nm benötigt. Zudem geht es darum den zuvor genannten Antrieb vor Folgeschäden aufgrund von Vandalismus zu schützen. Abhilfe schafft hier ein mechanischer Überlastschutz.

An dieser Stelle kommt eine Sonderlösung von R+W ins Spiel. Die bereits erwähnte Kraft zum Bewegen der Tür wird durch Tritte und Stöße um ein vielfaches erhöht. Die Antriebswelle der Tür hält aber auch nur einem vergleichsweise geringen Belastungsmaß stand. Um einem Bruch der Welle vor solchen Überlastspitzen vorzubeugen hat der Kupplungshersteller aus Wörth am Main den Auftrag bekommen, eine passende Sicherheitskupplung zu entwickeln. Ähnlich dem Prinzip eines Akkuschraubers soll die Kupplung beim Überschreiten von 30 Nm durchrasten und somit den Kraftfluss zwischen An- und Abtriebsseite entkoppeln. Sobald das anliegende Drehmoment wieder in einem Bereich unterhalb der voreingestellten 30 Nm kommt, soll der Kraftfluss automatisch wiederhergestellt werden. Eine Anforderung die so zunächst einmal mit dem bewährten und patentierten Prinzip der ESL-Kupplung (Abb. 1) zu lösen. Diese Kupplung arbeitet nach dem Federvorgespannten-Kugelrast-Prinzip (Abb. 2). Mit Hilfe von Tellerfedern wird eine Axialkraft auf zwei übereinanderliegende Kugelbahnen ausgeübt. Dadurch wird ein spielfreier Formschluss erzielt, der das definierte Drehmoment präzise überträgt. Im Falle einer Drehmomentspitze  wirkt die anliegende Umfangskraft größer als die Federkraft. Für die Dauer der Überlast können dann beide Kugelbahnen (Abb. 3) übereinander durchrasten. Wenn nach der Überlast das anliegende Drehmoment abfällt, werden die Kugelbahnen wieder ineinander gedrückt und stellen den Kraftfluss somit wieder her. Dieses System, integriert in eine Elastomerkupplung, bietet neben der Überlastsicherung auch gleich eine Welle-Welle-Verbindung.

Bei der geschilderten Applikation mussten besondere Anforderungen erfüllt werden: So darf der Gesamtaußendurchmesser der Kupplung ein Maß von 49mm nicht überschreiten, da der Abstand der Waggonwand zur Türantriebswelle lediglich 52mm vorwies. Hinzu kommt, dass die Kupplung nicht als Welle-Welle-Verbindung eingesetzt werden kann. Die restriktive Einbausituation bildet einen parallelen Versatz zwischen Motorwelle und Türantriebswelle von knapp 2cm. Mit einer Standardkupplung also ein nicht zu lösendes Problem.

Die Kupplung besteht im Wesentlichen aus einer Elastomerkupplung mit integrierter Durchrastsicherung nach dem bewährten ESL-Prinzip. Die Nabe zur Anbindung der Türantriebswelle ist mit einer zylindrischen Bohrung und zwei, um 180° zueinander versetzten, Passfedernuten versehen. Die Nabe zur Motorseite hingegen kommt mit einer Außenverzahnung nach DIN 867. Auf der Getriebemotorwelle befindet sich ebenfalls ein Ritzel. Ähnlich wie bei einem Strinradgetriebe wird über diese beiden verzahnten Komponenten somit die Kraft übertragen und der parallele Versatz zwischen An- und Abtriebseite überwunden. Für das, im Vergleich zur Kupplungsgröße, hohe Ausrastmoment hat R+W zusammen mit seinen Lieferanten eine spezielle Tellerfeder mit den erforderlichen  Federeigenschaften entwickelt.  Der Vorteil dieser Überlastkupplung liegt in der kompakten Bauweise. Das R+W Prinzip arbeitet bei allen Witterungsbedingungen verschleißfrei und mit präziser Wiederholgenauigkeit. Wie bei allen Sicherheitskupplungen von R+W ist auch diese Kupplung durch den TÜV-Süd geprüft.

Hier wurde eine individuelle Lösung geschaffen, die die Technologieführerschaft von R+W in der Entwicklung kompakter Präzisionssicherheitskupplungen einmal mehr unterstreicht.