Sicherheitskupplungen in Rettungsgeräten
Wer sich beruflich für Montage-, Reinigungs- oder Wartungsarbeiten in große Höhen begibt, vertraut sein Leben der Sicherungstechnik an. Sowohl Arbeitsgeber als auch Berufsgenossenschaften und Normierungsstellen setzen entsprechend strenge Vorgaben, um Gefahren aller Art auszuschließen. Ein Urgestein in der Sicherheitstechnik ist bekannt für qualitativ hochwertige Sicherheitsprodukte „Made in Germany“. Gemeinsam mit Sicherheitskupplungen aus Wörth am Main gelang nun eine bahnbrechende Innovation in der Höhenrettung.
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich mit einem Kollegen auf einem Windrad in 140 m Höhe und führen Wartungsarbeiten durch. Sie stehen oben am Plateau und sichern Ihren Kollegen, der unterhalb der Nabe an einem Rotor arbeitet. Plötzlich wird die unten am Seil hängende Person ohnmächtig. Nun ist es an Ihnen, die etwa 90 kg schwere, hilflose Person möglichst schnell in einen geschützten Bereich zu bergen. Auf den Boden abseilen ist 140 Metern Höhe auf Anhieb unmöglich, deshalb müssen Sie ihn zunächst nach oben ziehen!
Verletzungsgefahr Kraftquelle
Für solche Notfälle gibt es bereits seit rund 40 Jahren sogenannte Rettungshubgeräte. Die Bedienung dieser Geräte ist allerdings mühsam und langwierig, denn sie erfolgt in der Regel über eine Hubratsche ähnlich derer, wie man sie aus dem Werkzeugkasten kennt.
Motorgetriebenen Antrieben, die sich aufsetzen lassen, ist bisher die Zulassung versagt worden.
Laut Prüfstelle sind sie eine unkontrollierte Kraftquelle. Denn wenn was passiert, wenn sich der zu rettende Mensch bei der Bergung verhakt, das Bergungspersonal dies nicht bemerkt und ein eingeklemmtes Gliemaß aufgrund der hohen Kraftübertragung abgerissen wird? Dieser Fall darf unter keinen Umständen eintreten, er würde die Notsituation des Unfallopfers selbstverständlich dramatisch verschlechtern. Des Weiteren entsteht mit der direkten Verbindung von Antrieb und Winde aus Sicht der Behörden eine Funktionseinheit, die gesamtheitlich zu zertifizieren ist.
Dem Geschäftsführer von Mittelmann Sicherheitstechnik, Guido Rogge und seinem Entwicklungsteam ließ dieser Zustand keine Ruhe. Sollte jemand tatsächlich in großer Höhe hilflos in seinem Auffanggurt hängen, zählt jede Minute und körperliche Kraftreserven sind mit Bedacht einzusetzen. Außerdem führt heutzutage jedes Montageteam einen leistungsstarken Akkuschrauber mit sich. Dieser ist im Prinzip als Antrieb ideal, wenn da nicht die beschriebene Verletzungsgefahr durch unkontrollierte Kräfte wäre. Es musste eine kontrollierte Trennung zwischen Antrieb und Winde her, auch um jedweden Akkuschrauber verwenden zu können, ohne für das jeweilige Modell ein aufwendiges Zertifizierungsprozedere durchlaufen zu müssen.
Hier kam nun die Idee bei Mittelmann auf, einen Drehmomentbegrenzer in das Rettungshubgerät zu integrieren: „Der Drehmomentbegrenzer ist gleichbedeutend einem Zugkraftbegrenzer, einem Überlastfilter oder einer Überlastkupplung“, schildert Rogge die Lösungsfindung. „Wir hatten als Drehmomentbegrenzer zunächst ein Gerät eingesetzt, das nur mit Reibung arbeitet, in Form von zwei ineinandergesteckten Konen. Dadurch erzielten wir zwar die gewünschte Begrenzung des Drehmoments, aber die Variante hatte einen gravierenden Nachteil: Sie arbeitete still und leise. Im Überlastungsfall rutschen die Konen ganz langsam und immer mehr durch. Der Anwender bemerkt dies somit gar nicht oder erst, wenn es bereits zu spät ist. Ergo nutzen wir diesen Anbieter nur noch sehr eingeschränkt und haben uns auf dem Kupplungsmarkt weiter umgesehen. Dabei fiel uns das ebenfalls in Deutschland ansässige Unternehmen R+W mit seinen Sicherheitskupplungen auf. Dort trafen wir endlich auf die für uns optimale Kupplungslösung, die bei Überlast sowohl akustisch als auch optisch sofort wahrnehmbar ist. Damit war für uns der Weg zur Zertifizierung und Patentanmeldung geebnet.“
Die richtige Kupplung ist wichtig
Christopher Monka, Senior Account Manager bei R+W, betreut die Mittelmann Sicherheitstechnik und erläutert das Funktionsprinzip seiner Kupplung: „Wir haben die ESL-Sicherheitskupplung empfohlen, weil sie präzise, robust und rein mechanisch funktioniert. Zum Tragen kommt hier das durchrastende Kugelprinzip. Dabei liegen zwei Bahnen mit gehärteten Kugeln versetzt übereinander. Diese werden von Tellerfedern mit einer vorher definierten Kraft ineinander gedrückt. Wird diese Kraft überschritten, kommt es zum Durchrasten, was sich durch ein lautstarkes Klackern der übereinander rutschenden Kugeln bemerkbar macht. Naturgemäß geht damit eine Vibration einher. Je höher die Drehzahl der Kraftquelle, desto heftiger ist die Vibration, bis der angesetzte Motorantrieb (Akkuschrauber) schließlich ausgeworfen wird. Eben diese Effekte sind bei Mittelmann erwünscht, weshalb auch auf den für das Kupplungsmodell normalerweise üblichen Elastomerkranz verzichtet wurde.“
„Wir sehen drei ganz wesentliche Vorteile, die uns die ESL-Sicherheitskupplung von R+W für unser Rettungshubgerät bietet“, fasst Rogge zusammen: „Der erste Vorteil ist die deutliche Geräuschkulisse, die bei Überlast entsteht und die einem unüberhörbaren Alarm gleichkommt. Der zweite Vorteil ist das digitale Schalten der Kupplung. Entweder sie transportiert oder sie rastet durch. Ein über längere Zeit auftretendes Schleifen, dass letztendlich zum stillen Versagen führt, kann gar nicht auftreten. An dritter Stelle steht für uns das Vibrationsverhalten, welches im Ernstfall den Antrieb auswirft.“
„Ich vergleiche die Sicherheitsvorteile für uns gerne mit dem Stick shaker im Flugzeugcockpit, als Warneinrichtung bei unzulässigen Flugmanövern. Ein eindeutiges Warnsignal, das vom Bedienenden unmöglich ignoriert werden kann. Diese Eindeutigkeit und die zuverlässige Trennung zwischen einer beliebigen Kraftquelle und Rettungshubgerät macht die zuverlässige Nutzung für wenig geübte Anwender auch unter sehr schwierigen Bedingungen erst möglich. Denn egal wie stark die Kraftquelle ist – es ist stets sichergestellt, dass in das sensible System nur eine Kraft bis zu einer definierten Grenze eingeleitet wird. In unserem Fall sind dies 10 Nm. Damit sind wir weit ab von einer Gefahr für Mensch, Gerät, Seil oder Tragegurt. Die Sicherheitskupplung schützt Mensch und Ausrüstung vor unzulässigen Drehmomenten und stellt die gefahrlose Bedienung in einer Stresssituation sicher“, ergänzt Monka.
“Höhenrettung ist eine sensible, oft komplizierte und individuelle Sache. Die Bedienung gebräuchlicher Rettungshubgeräte ist für den Retter allerdings mühsam und langwierig, denn sie erfolgt in der Regel über eine manuelle Hubratsche. Motogetriebene Geräte, die sich aufsetzen lassen, sind viel einfacher und unkomplizierter, aber ihnen ist bisher die Zulassung untersagt worden. Im neuen (motorgetriebenen) Rettungshubgerät kommt eine weiterentwickelte Sicherheitskupplung zum Einsatz. Damit haben wir nun ein zertifiziertes (!) Höhenrettungsgerät mit Motorantrieb.“
Guido Rogge, Geschäftsführer
Mittelmann Sicherheitstechnik GmbH & Co. KG
in Velbert
Absolutes Novum
Die bei Mittelmann Sicherheitstechnik verwendete R+W-Kupplung ist eine Sonderkupplung auf Basis der ESL-Serie. Sie fällt kleiner aus als das Serienmodell, verfügt über keinen Elastomerkranz für Wellenversätze und wurde speziell angepasst auf die Anforderungen des Rettungshubgerätes als Überlastschutz für die manntragende Winde mit Fremdmaschinenantrieb. Als solches stellt das Gerät ein absolutes Novum dar und wird bei Mittelmann unter dem Namen MaxDrive und UniDrive angeboten. Diese fungieren sowohl als Abseil- als auch als Rettungshub- und Arbeitsgerät. Die Übersetzung und das Getriebe mit der Sicherheitskupplung befinden sich in einem Gehäuse an der Winde unter einer Art Glocke, die als Handrad dient. Zentrisch an diesem Handrad ist auf der Achse ein Innenvierkant eingelassen, in den ein handelsüblicher Bit mit Akkuschrauber als Motorantrieb aufgesetzt wird. Auf diese Weise lassen sich Hubhöhen bis 200 Meter erreichen mit Hublasten bis 200 kg. Auf der Gegenseite der Winde kann der Bediener zusätzlich die klassische Hubratsche angesetzen, sie erlaubt eine Hublast bis 280 kg. Die maximale Abseilhöhe geht bis 300 m bei einer Absinkgeschwindigkeit von 0,7 m/s.
Gelungener Innovationssprung
Dass dieses neuartige universelle Rettungsgerät mit jedem Motorantrieb betrieben werden darf und zertifiziert wurde, ist unter anderem der ideal angepassten Sicherheitskupplung von R+W zu verdanken. Die Zertifizierung ist sowohl als Rettungsgerät nach EN 1496:2017/B als auch als Ab-seilgerät nach EN 341:2011/1A / ANSI/ASSE Z359.4-2013 sowie als Arbeitsgerät nach Maschinenrichtlinie 2006/42/EG erfolgt. Mittelmann Sicherheitstechnik erreichte mit der R+W Sicherheits-kupplung eine echte Innovation, die im Ernstfall äußerst praktisch und zuverlässig ist, bei der Rettung von Menschenleben aus großer Höhe.